HERZINSUFFIZIENZ-THERAPIE AKTUELL / LEITLINIEN-UPDATE

Einleitung: Herzinsuffizienz seit 2016 neu verpackt und 2021 aktualisiert

Dieser Artikel fasst die aktuelle Herzinsuffizienz-Leitlinie der ESC (European Society of Cardiology) von August 2021 mit speziellem allgemeinmedizinischen Fokus zusammen. Der erste Teil umfasst die pointierte Zusammenfassung der Leitlinie und im zweiten Teil gibt ein kardiologischer Oberarzt des Universitätsklinikums Halle (Saale) prägnante Hinweise aus der Klinik.

In der Leitlinie von 2016 wurde die Herzinsuffizienz hinsichtlich Einteilung und Therapie grundlegend neu kategorisiert, die aktuelle ESC-Leitlinie von 2021 führt einige Neuerungen auf.
Die grundsätzliche Einteilung erfolgt initial nach (echokardiografischer) linksventrikulärer Ejektionsfraktion (EF) bzw. kardialem Auswurf.

Herzinsuffizienz wird nicht als eine einzelne pathologische Diagnose, sondern als klinisches Syndrom bestehend aus Kardinalsymptomen und klinischen Zeichen verstanden. Die Ursachen der Herzinsuffizienz sind vielfältig, am häufigsten sind Hypertonie und Koronare Herzkrankheit genannt, außerdem Myokardinfarkt, Arrhythmien, Herzklappenvitien und Myokarditis.

Klinik und Diagnostik: (Belastungs-) Dyspnoe, Stauungszeichen, Ödeme

Klinisch zeigen sich die Folgen einer isolierten oder globalen Links- und/oder Rechtsherzinsuffizienz. Zu den Kardinalsymptomen zählen progrediente (Belastungs-) Dyspnoe, verminderte Belastbarkeit und vermehrte Ermüdbarkeit, Nykturie und Knöchelödeme. Die klinischen Zeichen präsentieren sich als Zyanose, Stauungszeichen, Lungenödem, 3. Herzton und Gewichtszunahme.

Die Diagnostik und Einteilung der Herzinsuffizienz erfolgt anhand von o.g. Klinik und Herzultraschall. Eine rein symptombezogene Klassifizierung der Beschwerden (insbesondere Dyspnoe) erfolgt entsprechend den Stufen I-IV der NYHA (New York Heart Assiciation). Demnach zeigt Stufe I keine Symptomatik, Stufe II Symptomatik bei starker Belastung, Stufe III Symptomatik bei leichter Belastung und Stufe IV Symptomatik in Ruhe.

Zur Sicherung der Diagnostik sind außerdem empfohlen: EKG (Frage nach Vorhofflimmern, Q-Wellen/Infarkthinweise, Hypertrophiezeichen, QRS-Verbreiterung), Röntgen-Thorax (Frage nach Stauungszeichen/Ergüssen), Labor: NT-proBNP (>125 pg/ml, gelegentlich auch höherer Cut-Off-Wert)

Einteilung – genauer hingeschaut: Wofür steht HF(r/mr/p)EF und was bedeuten die kleinen Buchstaben r/mr/p?

Echokardiografisch wird die Pumpfunktion (EF in %) bestimmt.
Beträgt die EF 40% oder weniger, handelt es sich um eine Herzinsuffizienz mit reduzierter Pumpfunktion bzw. systolischer Dysfunktion (HFrEF: Heart Failure with reduced Ejection Fraction).
Beträgt die EF 41-49%, handelt es sich um eine Herzinsuffizienz mit mäßiggradig reduzierter Pumpfunktion bzw. systolischer Dysfunktion (HFmrEF: Heart Failure with mildly reduced Ejection Fraction).
Liegt eine symptomatische Herzschwäche vor und beträgt die EF 50% oder mehr, handelt es sich um eine Herzinsuffizienz mit erhaltener Pumpfunktion bzw. diastolischer Dysfunktion (HFpEF: Heart Failure with preserved Ejection Fraction). Das Herzvolumen und dementsprechend der Auswurf ist insgesamt reduziert aufgrund struktureller Herzmuskelhypertrophie (v.a. bei arterieller Hypertonie), die EF ist aber prozentual im Verhältnis zur Herzfüllung nicht vermindert.
Die grobe epidemiologische Verteilung setzt sich zusammen aus 50% HFrEF und 50% HFpEF+HFmrEF.

Red flags für eine HFpEF

Initiale Hypertoniker, die gegenüber einer Betablocker/ACE-I-Therapie intolerant sind, haben plötzlich niedrig-normotensive Blutdruckwerte; außerdem echokardiografisch kardiale Strukturveränderungen (Wanddickenzunahme), linksatriale Größenzunahme, linksventrikulär diastolische Dysfunktion.

Therapie

Je nach Typ der Herzinsuffizienz bestehen unterschiedliche Therapieregime. Diese sind bislang hauptsächlich für die HFrEF evident. Die HFmrEF wird – trotz mangelnder offizieller Medikamentenzulassungen –  ähnlich wie HFrEF therapiert, für die HFpEF besteht erst langsam wachsende Evidenz. Bei der HFpEF besteht die Therapie aus Screening und Behandlung der Ursprungskrankheiten und Komorbiditäten (kardiovaskulär und nicht-kardiovaskulär) sowie zusätzlicher diuretischer Therapie.

Medikamentöse Therapie: Alt Bewährtes und neue Hoffnungsträger

Die medikamentöse Therapie der HFrEF besteht aus 4 Säulen, die alle von Beginn an in Kombination eingesetzt und bis zur tolerierten Maximaldosis aufdosiert (siehe Tabelle unten) werden sollten. Ein besonderes Augenmerk ist auf die neu hinzugekommenen ARNIs (3.) und SGLT-2-Inhibitoren (4.) zu richten:

  1. Betablocker (vorzugsweise kardioselektive: Bisoprolol, Metoprolol succinat, Nebivolol),
  2. Aldosteron- (Mineralocorticoidrezeptor-) antagonist (CAVE: Niereininsuffizienz, Kalium; Eplerenon wirkt weniger gynäkomastogen als Spironolacton)
  3. ARNI (Angiotensin II – Rezeptorantagonist = Valsartan und Neprilysin-Inhibitor = Sacubitril; keine Kombination mit ACE-Inhibitoren, Cave: Angioödem) oder ACE-Inhibitor (bei ARNI-Unverträglichkeit)
  4. SGLT-2-Inhibitoren (Dapagliflozin/Empagliflozin), bei Herzinsuffizient-Patienten mit und ohne Diabetes
  5. Ferner: Schleifendiuretikum, Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten (=Sartane, nur wenn ACE-Hemmer oder ARNI nicht toleriert werden), Ivabradin (bei Frequenzen >70/min trotz ausgereizter Therapie)

Die Therapie der HFmrEF entspricht im Prinzip der der HFrEF, zusätzlich sollten Diuretika hinzugezogen werden, allerdings sind die meisten Medikamente offiziell erst für eine EF<40% zugelassen.

Bei kardialer Dekompensation nach wie vor Diurese!

Die diuretische Therapie/Entstauungstherapie hat einen besonderen Stellenwert bei der akuten Herzinsuffizienz/kardialen Dekompensation und bei der HFpEF. Bevorzugt werden orale (oder intravenöse) Schleifendiuretika (oral z.B. Torasemid [ab 10 mg] oder Xipamid [10-20 mg], intravenös Furosemid [ab 20 mg]). Auch soll explizit nicht vor Diuretika-Kombinationen und höheren Dosierungen zurückgeschreckt werden!

Nicht-medikamentöse Therapie, lifestyle-changes:

Neben der medikamentösen Therapie spielen Lebensstilanpassung, Selbstmanagement/Selbstfürsorge, Patientenprogramme für die Häuslichkeit/Klinik, Impfungen, Kardio-Reha, tägliche Gewichtskontrolle, Trinkmengenbeschränkung (auf maximal 1,5 l/Tag) und besonders körperliche Aktivität eine immense Rolle. Die Aspekte der Lebensstiländerung sollten auch immer wieder durchexerziert werden, die Hauptpunkte (aus der Leitlinie Hypertonie) sind Gewichtsreduktion und Erhalt des Idealgewichtes, Salzrestriktion, Mäßigung des Alkoholkonsums und Beenden des Rauchens, vermehrter Genuss von Obst und Gemüse und tägliche Aktivität.

Eigenverantwortung: Patienten-Selbstmanagement

Die Leitlinie verweist auf die hohe Bedeutung der Selbstfürsorge (self-care) und die Aufklärung der Patienten über das Krankheitsbild und wie viel sie dabei selbst in der Hand haben. Ein mündiger Patient, der über sein Leben mit Herzinsuffizienz Bescheid weiß und selbst Verantwortung übernimmt, sei unentbehrlich. Hilfreiche Tools für die Patientenaufklärung seien beispielsweise die Website www.hfmatters.org, außerdem das tägliche Gewichtsmonitoring und immer wieder Exercise (Training, Übungen, tägliche körperliche Aktivität).

Screening und Follow-up-Maßnahmen

Nicht nur seitens der Patienten, auch ärztlicherseits sind Kontrollen und Behandlungsstrategien angezeigt, so etwa die ambulante Kontrolle 2 Wochen nach stationärer Entlassung, um Stauungszeichen und Medikamentenverträglichkeit und -einnahme zu überprüfen. Ein regelmäßiges Screening sollte mindestens alle 6 Monate erfolgen mit Frage nach Gewicht, Symptomatik, Herzfrequenz, Blutdruck, Labor, Niere, einmal jährlich EKG (QRS-Dauer, neues Blockbild?). Eine Echokardiografie ist ausdrücklich nicht regelmäßig notwendig (nur bei Verschlechterung). BNP/NT-pro-BNP werden als prognostische Marker gesehen (gerade bei akuter Dekompensation), sind aber nicht zur Verlaufskontrolle/Routinemessung zur Therapieüberwachung empfohlen. Telemonitoring (allerdings nur Evidenzgrad IIb) hat auch Einzug in die Leitlinie erhalten.

Fokus interdisziplinär

Im Folgenden werden einige Komorbiditäten in Bezug auf Herzinsuffizienz mit Empfehlungen und Fakten näher beleuchtet.

Fokus Vorhoflimmern: VHFlimmern ist ein häufiger Grund für kardiale Dekompensationen. Folgender Algorithmus wird empfohlen:

  1. Zunächst Identifizierung und Behandlung von Ursachen und Auslösern von VHF
  2. Behandlung der Herzinsuffizienz
  3. Embolieprävention mittels (oraler) Antikoagulation, möglichst DOAKs (weg vom VKA/Marcumar)
  4. Frequenzkontrolle (z.B. Betablocker)
  5. Rhythmuskontrolle, nicht vor Kathterablation zurückschrecken

Fokus Diabetes: SGLT-II-Inhibitoren (Gliflozine) gehören zum neuen Therapiestandard bei HF (auch bei Nicht-Diabetikern) und sind bereits bei Diabetikern mit kardiovaskulärem Risikoprofil ohne diagnostizierte HF empfohlen, bei Nicht-Diabetikern ist der Einsatz nur bei diagnostizierter HFrEF empfohlen. Metformin ist am sichersten (im Vergleich zu Insulin oder Sulfonylharnstoffen, allerdings nicht bei GFR <30 ml/min). Glitazone verursachen Natrium- und Wasserretention und sind demnach kontraindiziert! Ebenfalls kein Saxagliptin (DPP-4-Inhibitor) bei HF.

Fokus Eisenmangel/Anämie: Zur Diagnostik gehören ein kleines Blutbild mit Ferritin und Transferrinsättigung. Zur Symptomverbesserung/Leistungsfähigkeit/Lebensqualität ist eine intravenöse Gabe von Eisenkarboxymaltose (Ferinject) bei Eisenmangel und Symptomatik und bei zusätzlich symptomatischer LVEF <50%/45% möglich, es senkt allerdings nicht signifikant die Hospitalisierungsrate/Mortalität. Orale Eisensubstitution (z.B. Ferrosanol) ist nicht effektiv/adäquat und dementsprechend nicht für HF-Patienten empfohlen! Ein regelmäßiges Screening für Anämie und Eisenmangel wird empfohlen. Von einer EPO-Therapie wird abgeraten.

Fokus Niereninsuffizienz: Bei ähnlichen Risikofaktoren (Hypertonie/Gefäßkrankheit) bestehen oft Überschneidungen und gegenseitiges Katalysieren. Initial bewirken Diuretika (insbes. SGLT-2-Inhibitoren) zwar eine Verminderung der GFR allerdings nur gering und im Verlauf kommt es zur Angleichung, deshalb von akuter GFR-Verminderung bei neuem HF-Medikament nicht abschrecken lassen und nicht direkt wieder absetzen! Ein GFR-Abfall um 10% bleibt tolerabel, solange die GFR >25 ml/min beträgt. Betablocker sind bis zu einer GFR von 30 ml/min hilfreich und unbedenklich (für niedrigere GFR-Werte besteht wenig Evidenz). Entresto (im Vergleich zu Enalapril) führt zu langsamerer GFR-Abnahme. Eine Verbesserung der Herzfunktion führt meistens zu einer Verbesserung der Nierenfunktion. Ausgeglichene Elektrolyt-Werte sind essenziell, eine regelmäßige Kontrolle ist notwendig (Cave: Hypo-/Hyperkaliämie, Hyponatriämie)

Fokus KHK (CCS): Betablocker sind die essenzielle Medikation! Außerdem kann Ivabradin bei Sinustachykardien erwogen werden, Herzkatheter/Koronarangiografie ist (bei Angina) zeitnah empfohlen.

Fokus Klappenvitien: Klappenersatz/-rekonstruktion erwägen (Aortenklappe operativ oder mittels TAVI, Mitralklappeninsuffizienz mittels MitraClipping)!

Fokus Hypertonie: Therapie der HFrEF ist bei hypertensiven und normotensiven Patienten gleich. Hypertonie ist der häufigste Grund für HFpEF.

Fokus Adipositas: Immenser Risikofaktor, assoziiert eher mit HFpEF, dennoch hat ein mildes Übergewicht (BMI 25-30 kg/m²) eine bessere Prognose. BNP ist als Laborparameter nicht suffizient verwertbar, da es mit Fettgewebe interagiert und falsch-niedrig erscheint.

Fokus Lungenkrankheiten: Asthma und COPD sind keine Kontraindikation für (kardioselektive) Betablocker (Bisoprolol, Metoprolol succinat, Nebivolol)!

Fokus Gicht (Arthritis): Regelmäßige Harnsäure-Kontrolle (Anstieg de Harnsäure um 1 mg/dl führt zu einem Anstieg der Gesamtmortalität bzw. Hospitalisierung um 4% bzw. 28%). Allopurinol als empfohlenes Standardtherapeutikum bei Gicht. Ebenfalls wird Colchizin statt NSAR empfohlen, und NSAR oder COX-2 Inhibitoren sind bei Herzinsuffizienzpatienten nicht empfohlen.

Fokus Depression: Wenn neben Psychotherapie auch medikamentöse Therapie indiziert ist, sind Sertraline und Escitalopram empfohlen, trizyklische Antidepressiva sind eher kontraindiziert (vermehrt Hypotonie, Arrhythmie).

Fokus Krebs: Meist kardiotoxische Medikation, daher sind regelmäßige EKG-, Echo- und Laborkontrollen empfohlen. Vor Krebs-Therapiebeginn wird eine Bestimmung der Ausgangswerte und kardiovaskuläre Diagnostik empfohlen. Bei Abnahme der LVEF um 10% oder Abfall <50% sollte mit ACE-Inhibitor und Betablocker begonnen werden.

Fokus Schwangerschaft: Kontraindikation bei Schwangerschaft für die meiste Herzinsuffizienzmedikation: ACE-Inhibitoren (-pril), Angiotensin-II-Inhibitoren (-sartan), ARNI (Entresto), Mineralocorticoidrezeptorantagonisten (-lacton/-renon), Ivabradin, SGLT-II-Inhibitoren und DOAKs (stattdessen niedermolekulares Heparin, Clexane). Zur weiteren Information wird www.embryotox.de empfohlen.

Von der LEITLINIE und Klinik in die Praxis

Konkrete Tipps und Hinweise aus der Klinik von Oberarzt PD Dr. Daniel aus der Klinik für Innere Medizin III / Kardiologie des Universitätsklinikums Halle:

Patienten mit HFrEF sollten möglichst simultan eine Therapie mit ACE-Hemmer bzw. ARNI, Betablocker, Mineralcorticoidrezeptor und SGLT-2 Inhibitor bekommen.

Für den ambulanten Bereich sind eine ausführliche Aufklärung über die Trinkmengenbeschränkung (meist 1,5 Liter) und die tägliche Gewichtskontrolle von großer Wichtigkeit.

Ein Anstieg der Retentionsparameter ist zu erwarten und sollte die Therapie nicht verhindern.

Entresto sollte bei Hypotonie (RR syst. < 100 mmHg nicht begonnen werden. Häufig wird die niedrigste Dosis ambulant fortgeführt, Entresto muss entweder aufdosiert oder bei persistierender Hypotonie auf Valsartan umgestellt werden. Insgesamt ist die Wichtigkeit der Aufdosierung der Herzinsuffizienzmedikation (siehe Tabelle 1) nicht genug zu betonen und wird von den Patienten zumeist gut vertragen. Hier sollte nach Vitaldaten und klinischen Kriterien entschieden werden.

Bei Diabetikern und Nicht-Diabetikern mit HFrEF kann Empagliflozin bis zu einer GFR von >20ml/min und Dapagliplozin bis > 30ml/min eingesetzt werden

Bei Patienten mit einer HFrEF sollte ein Eisenstatus bestimmt und bei entsprechendem Eisenmangel mit Ferinject® i.v. ausgeglichen werden.

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